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Ein (zu) großes Herz

Unsere Reise mit der Herzkrankheit unseres Sohnes

 

Als unser Sohn sechs Wochen alt war, wurde bei ihm eine Herzkrankheit (DCM) diagnostiziert. Eine Operation des pulmonal arteriellen Bandings war unsere Hoffnung eine Transplantation zu vermeiden.


Baby trägt Body auf der Pädiatrischen Intensivstation


Wir waren überglücklich, als wir nach einer Fehlgeburt unser zweites Kind pumperlgesund in den Armen hielten. Nun konnten wir in unser Leben als vierköpfige Familie starten. Was uns 6 Wochen später erwartete hätten wir uns niemals gedacht.


Unser Herzbube wurde am 02. Februar 2021 auf natürlichem Weg geboren. Er war ein zufriedenes Baby und als Zweitmama fühlte ich mich recht sicher im Umgang mit Neugeborenem. Nach etwa einem Monat begann er aber immer häufiger zu weinen und ließ sich nicht gut beruhigen. Irgendwann fiel mir dann auch die beschleunigte Atmung auf und mir kam ein Reel in den Sinn, das ich ein paar Wochen zuvor mal auf Instagram gesehen hatte. Dabei hatte eine Mutter auf die Warnzeichen und Symptome einer Herzkrankheit bei Babys aufmerksam gemacht. Ich machte einen Termin bei unserer Kinderärztin aus, in der Hoffnung auf Beschwichtigung und Entwarnung. Stattdessen bekam ich eine Überweisung in die Notaufnahme mit der Aufschrift: „Tachypnoe, Atemfrequenz 110/Min, Folgeuntersuchung erbeten.“


Es folgten ein paar Routineuntersuchungen, bis dann beim auskultieren (abhören) des Herzens immer mehr Ärzte hinzugezogen wurden. Besorgte Gesichter und eine unerträgliche Stille im Raum. Endlich eine Äußerung: „Ich höre einen prominenten dritten Herzschlag.“ Ich hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Wir wurden in die Ambulanz zum Ultraschall geschickt. Dort schallte ein junger Assistenzarzt das Herz, der äußerte sich aber nicht zu den schwarz-weißen Bildern am Monitor. „Einen Moment, bitte.“ Er stand auf und kam mit einem Oberarzt zurück. Der schallte und schaute und schaute und schallte.


„Ihr Sohn ist schwer herzkrank.“

An dieser Stelle möchte ich dazu sagen, dass wir uns mitten in der Pandemie befanden und alle eine Maske trugen. Ich konnte also nicht die volle Mimik der Ärzte erkennen. Als mich aber dieser Oberarzt ansah, gefror mir das Blut in den Adern. Sein Blick sagte mir schon, was ich nicht hören wollte, bevor er es aussprach. „Ihr Sohn ist schwer herzkrank.“ In meinen Ohren fing es an zu rauschen, mein Blick wurde starr und ich hörte seine Stimme nur noch wie von weit weg. „Wir bringen Sie jetzt einen Stock höher auf die Intensivstation.“ Ich wollte aufstehen und mein Baby dorthin tragen, aber ich wurde in einen Rollstuhl gesetzt, mein Sohn wurde mir auf den Arm gelegt und so wurden wir auf die PICU geschoben.


Zwischen PICU und IMC

Auf der Pädiatrischen Intensivstation angekommen wurde er mir genommen und innerhalb weniger Minuten hatte er mehr Schläuche, Kabel und Sensoren an seinem kleinen Körper, als ich zählen konnte. Unter Tränen wählte ich die Nummer meines Mannes und dann brachen alle Dämme. Die Pflegeleitung schob mich in den Vorraum und meinte, sie würden mich holen, sobald er alle notwendigen Leitungen hätte. Nach einer halben Stunde kam eine Schwester und brachte mich in ein Zimmer auf der nebenliegenden Station. Wenig später durfte ich zu ihm. Die zuständige Pflegerin gab ihn mir in den Arm, ich wusste gar nicht, wo ich ihn anfassen sollte, überall waren Kabel. Ich durfte ihn stillen und dann musste ich wieder gehen, denn die Pädiatrische Intensivstation hatte Besuchsregeln. Wie streng diese waren und wie sehr ich mich deswegen mit dem Personal in die Haare bekam, wusste ich da aber noch nicht.



Die nächsten Tage verliefen wie in Trance. Untertags saß ich während der Besuchszeiten durchgehend neben seinem Bett und nachts tigerte ich im Zimmer auf und ab, ständig den Anruf einer Pflegerin erwartend. Die Ärzte arbeiteten auf Hochtouren und machten zahlreiche Untersuchungen. Schon in dieser Zeit fiel oft die Diagnose „Dilatative Kardiomyopathie“ und „Auswurfsleistung von 19%“. Ich konnte das anfangs nicht mal aussprechen oder mir merken. Mein Hirn war auf Überlebensmodus.


Als er halbwegs stabil war, verlegten sie uns auf die IMC (Intermediate Care Unit). Die IMC ist das Bindeglied zwischen der Intensivpflegestation mit ihren umfassenden therapeutischen und intensivpflegerischen Möglichkeiten und der Normalstation, auf der aufgrund der niedrigeren Personaldecke keine engmaschige Überwachung des Patienten möglich ist. Hier durfte ich auf einem Ausklappbett neben ihm schlafen. Nach ein paar Tagen fiel die Entscheidung eine Herzkatheter-Untersuchung zu machen. Das ist eine minimalinvasive medizinische Untersuchung des Herzens über einen Katheter, der über venöse oder arterielle Adern der Leiste eingeführt wird. In seinem Fall wurden die Herzkranzgefäße angesteuert.


Ein Übel kommt selten allein

Da der Eingriff unter Narkose stattfand, kam er danach wieder auf die Intensivstation. Als ich endlich zu ihm durfte traf mich fast der Schlag. Er war aufgedunsen und kreidebleich, hatte einen Sauerstoff-Highflow unter der Nase und ein Pfleger gab ihm gerade eine Flasche. Bevor ich etwas sagen konnte, nahm mich eine einfühlsame Ärztin auf die Seite und erklärte mir in Ruhe, dass sie jetzt die Nahrungszunahme bilanzieren müssten und ich daher eine Weile nicht mehr stillen dürfte. Ab jetzt hieß es abpumpen und er bekam nur alle 4 Stunden 70 ml. Das wurde so ausgerechnet - für seine Größe und sein Gewicht sei das die empfohlene Menge.



Nach dem Herzkatheter fiel immer wieder das Wort Transplantation. Generell gäbe es keine sichere Prognose, die Krankheit wäre zu selten und jedes Kind würde anders reagieren. Zusätzlich zur dilatativen Kardiomyopathie hatte er noch einen Linksschenkelblock und somit eine Diagnose wie nur eine Handvoll anderer Kinder auf der Welt.


Wir wurden wieder auf die IMC verlegt, wo sich bald das nächste Unheil anbahnte. Geplant war die Vorbereitung auf eine Verlegung nach Wien, wo sich eines der zwei Kinderherzzentren in Österreich befindet. Dort sollte das pulmonalarterielle Banding gemacht werden. Einen Tag vor der Abreise bekam er aber plötzlich Fieber und dann ging alles ganz schnell. Sein Zustand verschlechterte sich stündlich und er wurde wieder auf die Intensivstation gebracht, Dort wurde eine Sepsis festgestellt, ausgelöst durch einen Keim, der über den ZVK (Zentralen Venenzugang) an seinem Hals bis in den rechten Vorhof des Herzens vorgedrungen ist. Die kommenden Stunden waren eine der schlimmsten in unserem Leben. Paulo hatte immer wieder Affektanfälle, wo er sich beim leisesten Geräusch und der kleinsten Berührung so aufregte, dass er bewusstlos wurde und Atemaussetzer hatte. Durch seinen schlechten Zustand behielt er keine Nahrung bei sich und das Risiko einer nekrotisierenden Enterokolitis stieg.


„Ein zu großes Herz bedeutet auch mehr Liebe.“

Zum Glück erholte er sich innerhalb weniger Tage und wir konnten nach Wien überstellt werden. Dort wurden wir auch direkt auf die Intensivstation gebracht. Mein kleines Baby lag nun mit zwei Monaten in einem kleinen Raum voller piepsender Monitore, blinkender Medikamentenspritzen und unzähliger Schläuche. Ich durfte ihn nicht aus dem Bettchen raus nehmen. Zumindest war es hier aber erlaubt bis auf die Übergaben und Visiten rundum bei ihm zu bleiben. Wir besorgten uns aber trotzdem ein Zimmer im Teddyhaus, damit mein Mann und ich uns abwechseln konnten und ich somit auch etwas Zeit mit meiner Tochter verbringen konnte.


Nach ein paar Tagen wurden wir auf die Normalstation verlegt, die geplante Operation sollte leider nicht stattfinden - er erfüllte nicht alle Kriterien. Hier sollten wir nun knapp zwei Monate leben. In dieser Zeit wurde er stabilisiert und langsam auf orale Medikation umgestellt.



Nach 51 Tagen durften wir vollgepackt mit zahlreichen Medikamenten, einigen Narben und vielen Erfahrungen endlich nach Hause. Zu dieser Zeit bekam unser kleines Baby drei Mal täglich mehrere Spritzen oral. Darunter Beta-Blocker, ACE-Hemmer und Diuretika, sowie Natriumchlorid und Elektrolyten. Wir genossen diese Zeit zu Hause und in gefühlt völliger Freiheit.


Als ein Wunder geschah

Wir lebten uns zuhause ein, nahmen die wöchentlichen Kontrollen in der Klinik wahr und lernten täglich aus dem Leben mit einem chronisch schwerkranken Kind. Ich las mich durch alle möglichen Foren, trat Facebook-Gruppen bei und versuchte mich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Da schrieb mich eines Tages eine wundervolle Mutter aus Kroatien an. Anfangs war ich nicht sicher, was sie von mir wollte - ihre Art war sehr direkt und sie sprach immer nur von diesem PAB (Banding der Pulmonalarterie). Dieses Thema hatten wir schon völlig außen vor geschoben und ich konnte mich erst gar nicht darauf einlassen.

„Die Kombination von Paulo lässt auf eine Behandlung mit einem pulmonal-arteriellen Banding hoffen.“

Irgendwann gab sie mir den Kontakt zu einem Professor in Deutschland mit der Empfehlung zu ihm zu fahren für eine zweite Meinung. Er wäre der Beste auf dem Gebiet und wüsste, wer für ein Banding in Frage komme. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt - also schrieb ich dem genannten Professor eine Mail und ein paar Tage später bekamen wir eine ganz unverhoffte Antwort: „Habe Ihre Geschichte gelesen! (…) Also, wenn sie möchten, kommen Sie nach Frankfurt. Vielleicht kann ich es organisieren, dass Sie hier bleiben, um die Operation zu planen!“


Und das taten wir. Von nun an war unser kleiner Sohn in den schützenden Händen dieses Professors. Es gibt nicht viele Ärzte auf dieser Welt, deren Hingabe zu ihrem Beruf so spürbar ist.


Intensivstation in Gießen
Auf der Intensivstation in Gießen nach der Operation am offenen Herzen.

Im September 2021 wurde die Operation am offenen Herzen in Gießen durchgeführt. Schon nach ein paar Wochen sahen wir die ersten positiven Veränderungen und nach einem Jahr hatte sich die Auswurfsleistung vom Herz von 30 % auf 53 % gesteigert. Den Alltag meisterte unser kleiner Kämpfer mit 4 Medikamenten (Bisoprolol, Lisinopril, Spironolacton und ThromboASS).


Der weitere Verlauf

Im Juli 2023 musste das erste partielle Debanding gemacht werden, da sich die rechte Herzkammer unter zu großem Druck befand und dadurch hypertrophierte. Nach diesem Eingriff ging es Paulo aber wieder sehr gut und im Jänner 2024 überraschte er uns nach einer MRT-Kontrolle mit einer Auswurfsleistung von 65 %! Normalerweise liegt die Ejektionsfraktion eines Kindes zwischen 60-70 %, er ist also völlig im Normbereich. Wir sind unglaublich dankbar für die Möglichkeiten, die wir ergreifen durften, für die besonderen Menschen, die wir auf diesem Weg kennengelernt haben und für unseren außerordentlich starken und lebensmutigen Herzbuben. Eine Transplantation steht zurzeit nicht mehr im Raum, sondern hinterm Haus im Nachbarsgarten. Eventuell braucht er im Jugendalter einen Herzschrittmacher, aber ich bin sicher, er zeigt uns immer wieder aufs Neue, wie stark er ist.


Kind zeigt auf seinen Fußabdruck auf einer Wand im Krankenhaus.
Er zeigt auf seinen grünen Fußabdruck.



1 Comment


Also ich den Sticker heute am Spielplatz entdeckt hab, ahnte ich nicht was mich da erwartet. Gefesselt, geschockt und voller Liebe hab ich Zeile für Zeile gelesen und war den Tränen nah. Immer mit einem Auge bei meinem Sohn und unglaublich dankbar, dass er gesund ist.


Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft – vielmehr aus unbeugsamen Willen.


Ich wünsche euch das Allerbeste und dass ihr nie euren Willen und eure Kraft verliert !! Ihr seid so unglaublich stark!


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Hi, danke fürs Vorbeischauen!

Ich bin viel mit meinen meinen drei Kindern und meinem Mann unterwegs und teile wertvolle Ausflugstipps, umfangreiche Ideen für Kinderbeschäftigungen und Sachen aus unserem Alltag. Viel Spaß beim Lesen!

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